Fristwahrung mit elektronischen Eingaben

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Das Obergericht des Kantons Zürich entschied mit Urteil vom 25. Januar 2023 (RE220012), dass eine Beschwerde per IncaMail im Modus "Vertraulich" die Formvorschriften von Art. 143 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt. Die Vorinstanz habe nicht gegen das Verbot des überspitzten Formalismus verstossen, indem es auf die entsprechende elektronische Eingabe nicht eingetreten sei. Was ist hier falsch gelaufen und auf was muss man achten?

1.   Sachverhalt

Mit Urteil vom 6. Oktober 2022 hat das Bezirksgericht Dietikon einen Eheschutzentscheid erlassen. Darin wurde der spätere Beschwerdeführer verpflichtet, eine Entscheidgebühr von CHF 4'000 sowie eine Parteientschädigung von CHF 7'500 zu bezahlen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit elektronischer Eingabe Beschwerde. Da sich bei den Akten keine Quittung im Sinne von Art. 143 Abs. 2 ZPO befand, forderte das Obergericht Zürich den Beschwerdeführer auf, sich zur Rechtzeitigkeit seiner Eingabe zu äussern.

  

2.   Wahrung der Frist

Gemäss Art. 143 Abs. 2 ZPO ist bei elektronischer Einreichung für die Wahrung einer Frist der Zeitpunkt massgebend, in dem die Quittung ausgestellt wird, die bestätigt, dass alle Schritte abgeschlossen sind, die auf der Seite

der Partei für die Übermittlung notwendig sind. Das Obergericht schreibt, der Eingang der Sendung müsse innert Frist bestätigt worden sein und verweist auf die Botschaft (Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] vom 28. Juni 2006, BBl. 2006, S. 7221 ff., S. 7308). In der Botschaft gibt es keinen Hinweis zur Form der Quittung. Der Eingang beim Gericht ohne eine Bestätigung reiche nicht aus, um die Frist zu wahren. Für diese Aussage verweist das Obergericht auf den Bundesgerichtsentscheid 2C_502/2018 E. 2.4 f. vom 4. April 2019. Im zitierten Bundesgerichtsentscheid ging es darum, dass eine elektronische Eingabe (vermutungsweise) aufgrund des zu grossen Datenvolumens nicht zugestellt werden konnte und daher auch keine Empfangsquittung ausgestellt worden war. Auch hier äussert sich das Bundesgericht nicht zu den Formvoraussetzungen der Quittung.

 

Das Obergericht verweist sodann auf die Verordnung über die Anerkennung von Plattformen für die sichere Zustellung im Rahmen von rechtlichen Verfahren vom 16. September 2014, Ziffer 5.1., wo unter Ziffer 8b die Voraussetzungen für die Fristwahrung definiert werden. Für die Form der Abgabequittung wird unter Absatz 2 auf das EJPD verwiesen. Welches im Dokument "Anforderungen an Plattformen für die sichere Zustellung im Rahmen von rechtlichen Verfahren (Kriterienkatalog Zustellplattformen)" (https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/staat/rechtsinformatik/e-uebermittlung/kriterienkatalog-d.pdf) die folgenden 5 Kriterien bestimmt (Ziffer 5.1):

 

1) Informationen zur Quittung

  • Name der die Quittung ausstellenden Zustellplattform,

  • Angabe, ob es sich um eine Abgabe-, Abhol-, Verfall-, oder Annahmeverweigerungsquittung handelt.

 

2) Informationen zur elektronischen Nachricht

  • Information zum Absender/in der Nachricht (Name, E-Mail-Adresse),

  • Information zum Empfänger/in der Nachricht (Name, E-Mail-Adresse),

  • Betreff-Feld (falls vorhanden),

  • Zeitstempel.

 

3) Komponenten oder Informationen zu den einzelnen Komponenten der Nachricht (wenn die Nachricht nicht End-zu-End verschlüsselt ist)

  • Name der Komponente (falls vorhanden),

  • Typ und Format der Komponente,

  • Grösse der Komponente in Bytes,

  • Hashwert(e) der Komponente, wenn möglich gebildet mit zwei verschiedenen kryptografischen Hashfunktionen.

 

4) Den Quittungszeitpunkt

 

5) eine fortgeschrittene elektronische Signatur gemäss Bundesgesetz vom 19. Dezember 2003 über die elektronische Signatur (SR 943.03).

 

3.   Zustellplattform IncaMail

Bei der IncaMail gibt es die Versandarten «Vertraulich», «Persönlich» und «Eingeschrieben». Bei der Versandart «Eingeschrieben» wird eine Versand- und Empfangsquittung in Form einer signierten PDF-Datei zugestellt. Deswegen muss die Versandart «Eingeschrieben» verwendet werden, weil nur dort der Erhalt der Abgabequittung gemäss Art. 143 Abs. 2 ZPO bestätigt wird.

 

4.   Kritik

Das Obergericht Zürich meint mit ihrem Entscheid nicht gegen das Verbot des überspitzen Formalismus zu verstossen, wenn es auf die per IncaMail verschickte Eingabe mit Versandart "Vertraulich" nicht eintritt. Für diese Einschätzung wird auf BGE 5A_650/2011, E.4 vom 27. Januar 2012 verwiesen. In diesem Entscheid hatte ein Rechtsvertreter eine Eingabe mit normaler E-Mail verschickt, was mit der vorliegenden Situation nicht vergleichbar ist. Das Obergericht Zürich argumentierte weiter, dass es an der Angabe fehle, ob es sich um eine Abgabe-, Abhol-, Verfall- oder Annahmeverweigerungsquittung handle. Die E-Mail des Gerichts, welche der Beschwerdeführer als Antwort auf seine elektronische Eingabe erhielt und als Beleg für die fristgerechte Eingabe einreichte, enthielt folgenden Satz: "Ihre unten stehende IncaMail-Nachricht konnte erfolgreich an den angeführten Empfänger gesendet werden.". Man darf erwarten, dass dieser Satz ausreicht, um die E-Mail als Abgabequittung zu qualifizieren. Weiter fehle es am Zeitstempel und der elektronischen Unterschrift. Dem Dokument ist zu entnehmen, wann es verschickt worden ist, und zwar um 23:40:53 Uhr am 03.11.22. Es ist nicht klar, warum das als Zeitstempel nicht ausreichend sein soll. Einzig die elektronische Signatur fehlt in der Bestätigungsmail. Meines Erachtens handelt es sich bei diesem Entscheid um einen Fall von überspitztem Formalismus.

  

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