Das «nackte» Existenzminimum

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In seinen neusten Entscheiden hat das Bundesgericht sich endlich dazu geäussert, welche Methode grundsätzlich bei der Unterhaltsberechnung angewendet werden soll. Für Betroffene einschneidender könnten aber die höchstrichterlichen Ausführungen zur Berechnung des Existenzminimums sein. Es bleibt diesbezüglich die Frage: Werden Zürcher Gerichte das Existenzminimum des Unterhaltsschuldners nach den neusten Entscheiden des Bundesgerichts noch enger berechnen?

1. Ausgangslage: Zweistufige Methode mit Überschussverteilung

Das Bundesgericht hat die per 1. Januar 2017 erfolgte Einführung des Betreuungsunterhaltes zum Anlass genommen, den bisherigen «Methodenpluralismus» zu verwerfen und für die gesamte Schweiz eine einheitliche Methodik im Bereich des Unterhaltsrechts anzukündigen (BGE 144 III 481 E. 4.1). In Umsetzung dieses Vorhabens hat das höchste Gericht mit Urteil 5A_311/2019 die Berechnungsweise für den Barunterhalt des Kindes vereinheitlicht, indem es die sogenannte zweistufige Methode mit Überschussverteilung als schweizweit verbindlich vorgegeben hat (Urteil 5A_311/2019 vom 11. November 2020 E. 6.6). Nun hat das Bundesgericht mit den Urteilen 5A_891/2018 und 5A_800/2019 in Bezug auf den ehelichen und nachehelichen Unterhalt nachgezogen – was erwartet wurde – und auch dort die zweistufige Methode für verbindlich erklärt, soweit nicht ausnahmsweise besondere Verhältnisse gegeben sind, welche ein anderes Vorgehen gebieten (Urteile 5A_891/2018 vom 2. Februar 2021 E. 4.5; 5A_800/2019 vom 9. Februar 2021 E. 4.3). Alle drei Entscheide sind zur Publikation vorgesehen.

2. Neue Vorgaben zur Berechnung des Existenzminimums

Aus Zürcher Sicht ändert sich auf den ersten Blick nicht viel. Zumindest für verheiratete bzw. geschiedene Paare und bei durchschnittlichen Verhältnissen entsprach die zweistufige Methode bereits seit langem dem Standardvorgehen der Zürcher Gerichte.

Was weniger Beachtung fand, ist der Umstand, dass das Bundesgericht im fraglichen Urteil 5A_311/2019 auch zur Berechnung des Existenzminimums Vorgaben machte, indem es für knappe Verhältnisse die «Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums» für massgebend erklärte und festhielt, dass bei ungenügenden Mitteln namentlich für Kommunikations- und Versicherungspauschalen kein Platz sei (Urteil 5A_311/2019 vom 11. November 2020 E. 7.2). Da reibt sich die Zürcher Unterhaltsrechtlerin die Augen. Gestützt auf das Kreisschreiben des Zürcher Obergerichts konnten bis anhin Aufwendungen für Hausrat- und Haftpflichtversicherungen vom Einkommen abgezogen werden. In der Regel wurde von einem Betrag von rund Fr. 30.– pro Monat pro Haushalt ausgegangen. Zudem rechneten die hiesigen Gerichte praxisgemäss Fr. 120.– pro Haushalt für Kommunikationskosten an. Dies umfasste die Auslagen für Internetanschluss, Mobiltelefonie, Festnetzanschluss und allfälliges Kabel- oder Satelliten-TV. Hinzu kamen die Radio- und Fernsehgebühr (Serafe) von monatlich Fr. 30.– (seit diesem Jahr noch Fr. 28.–). Summa summarum kommt man auf rund Fr. 180.–, welche die Zürcher Gerichte dem Unterhaltspflichtigen im Rahmen des Existenzminimums nach langjähriger Praxis stets beliessen und nun gemäss Bundesgericht für die Erfüllung von Unterhaltspflichten zur Verfügung stehen sollen. Für wenig verdienende Unterhaltsschulder wird es damit künftig allem Anschein nach noch enger werden: Die strenge betreibungsrechtliche Existenzminimumspraxis des Bundesgerichts lässt sie noch “nackter” dastehen.

Gute Neuigkeiten bedeutet das höchstrichterliche Urteil auf der anderen Seite für all jene Alimentengläubiger – meist sind es alleinerziehende Mütter –, welche bei unzureichenden finanziellen Mitteln nach ständiger Praxis das ungeteilte Manko zu tragen haben und dementsprechend häufig auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Ob und wie schnell die Zürcher Gerichte ihre eingespielte Praxis aufgeben werden, wird sich noch zeigen müssen. Es ist zu hoffen, dass sie dabei mit Bedacht vorgehen und den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles (auch weiterhin) stets Rechnung tragen.

3. Weitergehende Beratung

Sollten Sie Fragen zu einem konkreten Unterhaltsfall haben oder eine Beratung benötigen, stehen Ihnen die Experten von Legal Partners Zurich gerne zur Verfügung