Der zumutbare Schulweg

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Die Bundesverfassung garantiert einen ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht. Daraus lässt sich unter anderem ein verfassungsmässiger Anspruch auf einen zumutbaren Schulweg ableiten. Was aber ist ein zumutbarer Schulweg?

1. Ausgangslage

Nach Art. 19 und Art. 62 Abs. 2 der Bundesverfassung sorgen die Kantone für einen ausreichenden Grundschulunterricht. Er muss allen Kindern offenstehen. Daraus lässt sich ein verfassungsmässiger Anspruch auf einen zumutbaren Schulweg ableiten. Was ein zumutbarer Schulweg ist, wird vom Gesetz nicht definiert und muss ausgelegt werden. Dabei ist die Zumutbarkeit immer im konkreten Einzelfall zu prüfen. Allgemein gültige Vorgaben für die Zumutbarkeit des Schulweges gibt es nicht. Durch die Rechtsprechung wurden aber massgebende Kriterien für die Beurteilung der Zumutbarkeit erarbeitet.

 

2. Kriterien der Zumutbarkeit

Wesentlich ist immer die Person der betroffenen Schülerin oder des betroffenen Schülers. Dabei spielen das Alter (einem Unterstufenkind kann bspw. nicht dasselbe zugemutet werden wie einem Fünftklässler), aber auch die psychischen und physischen Fähigkeiten und die kognitive Entwicklung eine Rolle. So hat etwa das Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern entschieden, dass einem Kindergartenkind mit Sehschwierigkeiten die Überquerung einer stark befahrenen Strasse in der 30-er Zone nicht zugemutet werden könne.

Im Weiteren sind die Länge und die Gefährlichkeit eines Schulweges massgebende Kriterien für die Beurteilung der Zumutbarkeit desselben. Insbesondere die Gefährlichkeit des Schulweges wird subjektiv oft überschätzt. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit sind objektive Kriterien wie Verkehrs- und Naturgefahren massgebend. Dies können etwa sein:

- Strasse ohne Trottoirs oder Radstreifen,

- Übergänge über stark befahrene Strassen ohne Lichtsignale,

- längere Strecken durch einsame Wälder.

 

3. Anhaltspunkte für die Beurteilung der Zumutbarkeit?

Wie einleitend festgehalten, ist die Frage der Zumutbarkeit immer nach den konkreten Umständen im Einzelfall zu beurteilen. Einige Anhaltspunkte ergeben sich aus der Rechtsprechung indes schon. So geht das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich in steter Praxis davon aus, dass Kinder der Unterstufe einen Weg mit einer Gehgeschwindigkeit von 3 bis 3.5 km/h zurücklegen, bei Kindern der Mittelstufe hingegen mit 4-5.5 km/h gerechnet werden kann. Das Bundegericht hält immer wieder fest, dass es eine Mittagspause zu Hause von 40 Minuten als genügend erachtet und bejaht die Praxis der Schulbehörden, einen Teil des Schulweges als Erholungszeit zu qualifizieren, jedenfalls dann, wenn der Weg einfach zurückzulegen ist. Wichtig ist auch zu wissen, dass die Beurteilung der Zumutbarkeit nicht anhand einzelner Tage mit besonderen Witterungsverhältnissen, sondern aufgrund einer Gesamtbetrachtung über den Zeitraum eines ganzen Jahres erfolgen soll.

  

4.    Aus der Rechtsprechung?

Als zumutbar eingestuft wurden etwa:

- eine Wegstrecke von 2,5 km Länge oder eine halbe Stunde Fussmarsch für ein Kind in der Kindergartenstufe, falls keine gravierenden Höhenunterschiede oder besonders steile Partien zu überwinden sind,

- ein Schulweg von 40 Minuten, der teils zu Fuss (ca. 15 Minuten bis zur Bushaltestelle) und teils mit dem Schulbus (restliche Zeit) zurückzulegen ist, bei einem Schüler der Unterstufe,

- ein Schulweg von knapp 2.5 km Länge und 120 m Höhenunterschied für eine 4. bis 5.-Klässlerin, auch wenn im Winter bei schlechten Witterungsverhältnissen der Weg nicht mit einem Fahrrad zurückgelegt werden kann.

Als unzumutbar erachtet wurde demgegenüber

-  ein Schulweg von durchschnittlich 50 und mehr Minuten pro Weg und einer zusätzlichen Busfahrt für eine achtjährige Schülerin,

- ein teilweise sehr steiler Schulweg von 2,5 km Länge mit einer Höhendifferenz von etwa 500 m, der weitgehend durch Waldgebiet führte, für Schüler der 1. bis 3. Primarklasse,

- ein teilweise ungesicherter Schulweg von über 2,5 km Länge und deutlich über 200 m Höhenunterschied vorbei an einer Kantonsstrasse sowie einem Autobahnzubringer für eine Erstklässlerin,

- ein Schulweg, welcher von einem Kindergartenkind die Überquerung von zwei stärker befahrenen Strassen mit Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ohne Querungshilfen in Form eines Fussgängerstreifens oder Mittelinsel verlangt.

 

5. Und wenn der Schulweg nicht zumutbar ist?

Die Volksschulverordnung des Kantons Zürich sieht vor, dass bei der Zuteilung von Schülerinnen und Schülern zu den Schulhäusern u.a. auf die Länge und die Gefährlichkeit des Schulwegs zu achten ist. Sofern die Schülerinnen und Schüler den Schulweg aufgrund der Länge oder Gefährlichkeit nicht selbständig zurücklegen können, muss die zuständige Schulbehörde geeignete Massnahmen anordnen. Bei der Wahl dieser Massnahmen verfügt sie aber über grosses Ermessen. In Betracht kommen etwa:

- der Transport der betroffenen Kinder mit einem Schulbus,

- die Übernahme von Abonnementskosten bei Benützung des öffentlichen Verkehrs,

- die Einrichtung eines Begleit- oder Lotsendienstes,

- die Erstellung von Fussgängerüberführungen bei gefährlichen Strassen.

 Während der Mittagspause kann ausserdem – als Alternative etwa für einen Schulbustransport – schulseitig ein Mittagstisch organisiert werden, damit der Schulweg nur zweimal am Tag absolviert werden muss (BGE 140 I 153 E. 2.3.3).

 

6. Schlussfolgerungen

Die Praxis der rechtsprechenden Instanzen in Bezug auf die Zumutbarkeit eines Schulwegs ist meines Erachtens streng. Es werden hohe Anforderungen an die Kinder gestellt. Gleichwohl lohnt sich eine Prüfung der Rechtslage, wenn die Eltern den Schulweg als zu schwierig erachten. Es trifft, entgegen der weitverbreiteten Meinung, nicht zu dass gegen Schulzuteilungen und damit einhergehende Schulwege «kein Kraut» gewachsen ist. Zu beachten ist aber immer, ein unzumutbarer Schulweg führt nicht zu einem Anspruch auf Umteilung des betroffenen Kindes, sondern verpflichtet die zuständige Schulbehörde, verkehrssichernde Massnahmen anzuordnen. Es ist aber offensichtlich, dass die Kosten von verkehrssichernden Massnahmen hoch sein können, weshalb im Rahmen eines Kompromisses dann doch nicht selten eine Umteilung erfolgt.

 

7. Weitergehende Beratung

Sollten Sie zum zumutbaren Schulweg oder zu anderen Themen des Schulrechts (wie etwa Sonderschulung, Nachteilsausgleich, Übertritte) Fragen haben, stehen Ihnen die Experten von Legal Partners Zurich gerne zur Verfügung.